Weidepflicht und Bio Landwirtschaft

Wenn die Kuh ins Grüne zieht

Seit 2022 gilt in der EU eine Wei­depflicht für Bio-Betriebe. Was gut gemeint ist – mehr Tierwohl, mehr Biodiversität – bringt auch Heraus­forderungen. Ein Besuch bei Bio- Bauer Sebastian Widhammer in Berbling zeigt: Es geht. Aber nicht von allein.

Zwischen EU-Vorgabe und Berblinger Forstweg

Weidehaltung – das klingt nach saftigen Wiesen, glücklichen Kü­hen und heiler Welt. Und: Seit der Reform der EU-Öko-Verordnung 2018/848 ist sie für Bio-Rinderhal­tung verpflichtend. Deutschland hat das 2022 ins nationale Recht über­nommen. Für Bio-Bauern bedeutet das konkret: Ihre Kühe müssen „bei geeigneter Witterung“ auf die Wei­de. Klingt einfach – ist es aber nicht.

In der Praxis ist die neue Pflicht eine Art Zäsur. Denn sie erfordert Infra­struktur, Zeit und Know-how. Wer, wie Sebastian Widhammer aus Ber­bling, 50 Milchkühe und 45 Stück Nachzucht hält, weiß, wovon er spricht: „Letztes Jahr hätt’ ich’s mir ehrlich nicht vorstellen können“, sagt er – heute ist es Alltag. Ein Weg durchs Holz zur Weide, Melkzeiten neu getaktet, Reinigungspläne an­gepasst. Und: Kuhfladen auf der Weide. Klingt unappetitlich, ist aber ökologisch wertvoll.

Die Freude der Kühe und das Zwitschern der Vögel

„Die Kühe haben richtig Gaudi, wenn’s auf d’ Weide geht“, erzählt Widhammer. Anfangs war er skep­tisch – ob die Tiere freiwillig durch den Wald laufen? Ob das überhaupt praktikabel ist? Heute weiß er: Es funktioniert. Nicht reibungslos – ein paar Ausreißer gibt’s immer – aber mit erkennbarem Nutzen. Für die Tiere, für die Biodiversität, für den Boden.

Die Effekte sind messbar – im Kleinen wie im Großen. Die Kühe bewegen sich mehr, haben weniger Stress, sind fruchtbarer. Fliegenbe­lastung im Stall? Spürbar reduziert. Auf den Weiden blühen mehr Kräu­ter, Insekten tummeln sich – und Vögel finden Nahrung. „Ein schö­ner Nebeneffekt“, sagt Widhammer. Und trifft damit den Kern: Es geht nicht nur ums Tierwohl, sondern ums Ganze.

Bio heißt: Mehr als nur grüne Wiese

Die Weidepflicht ist nur ein Aspekt der Bio-Tierhaltung. Kein Kunst­dünger, kein chemischer Pflanzen­schutz, strenge Vorschriften bei Arzneimitteln, Bio-Futter, Doku­mentationspflicht, Kontrollen – das alles gehört dazu. Und macht die Unterschiede zur konventionellen Landwirtschaft deutlicher als manch einer denkt.

Trotzdem: Auch im Konventionel­len gibt’s Weidehaltung, auch dort sind Tierhalter engagiert. Pauschal­urteile helfen nicht weiter. Aber: Bio setzt Standards. Und gerade weil die Anforderungen hoch sind, braucht es politische Unterstützung – nicht mehr.

Pflicht geblieben, Förderung gestrichen?

Hier liegt der Knackpunkt. Die Wei­depflicht kam – die Förderung wur­de gestrichen. „Immer das gleiche: Erst gibt’s freiwillige Programme mit Zuschuss, dann wird’s Pflicht und die Förderung fällt weg“, kri­tisiert Widhammer. Verständlich. Denn Weidehaltung braucht Prä­senz. Und Präsenz kostet Zeit – vor allem bei kleinen Betrieben im Nebenerwerb.

Was helfen würde? Eine Agrarpo-litik, die Betriebsgröße, Arbeitsauf-wand und ökologische Wirkung ein­bezieht. Kein pauschales „pro Hektar“, sondern gestaffelte Prämien. Sonst profitieren Verpächter – und die Bauern haben das Nachsehen.

Zwischen Stall und Politik: Die Kuh als Klimaschützerin

Dabei hätte die Weidehaltung durchaus das Zeug zum Vorbild. Eine Studie zu wilden Wisenten in Osteuropa zeigt: Beweidung kann CO2 binden – vergleichbar mit den Emissionen von 40.000 Autos. Auch wenn Milchkühe keine Wild­rinder sind: Das Prinzip bleibt. Und es passt gut nach Bad Aibling, wo Landwirtschaft, Moor- und Wiesen­landschaft ineinandergreifen.

Die Botschaft: Die Kuh auf der Weide ist kein nostalgisches Bild, sondern ein Baustein für zukunfts­fähige Landwirtschaft. Doch dafür braucht’s Rückhalt – politisch, fi­nanziell, gesellschaftlich.

Am Ende bleibt die Frage: Wenn schon Pflicht – warum nicht mit echter Unterstützung? Und war­um nicht gemeinsam überlegen, wie wir die Weidehaltung als Chance für Tier, Natur und Re­gion nutzen können? Sebastian Widhammer hat’s probiert – mit Mut, Pragmatismus und einem offenen Ohr für seine Kühe. Viel­leicht braucht es davon einfach ein bisschen mehr.

Martina Thalmayr