momo & frieda

Buchhandlung mit Herz und Haltung

Vor einem Jahr entdeckte Steffi Hallermann, dass in Bad Aibling eine Buchhandlung zum Verkauf stand: der ehemalige „Bücher Johann“ am Bahnhof. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick. Schon nach wenigen
Chatnachrichten mit ihrer Freundin Annika stand fest:
Den übernehmen wir – gemeinsam. Obwohl keine von beiden Frauen je im Buchhandel gearbeitet
hatte. Volles Risiko also.

Wir sitzen in der gemütlichen Schmökerecke der Buchhandlung unterm Dach auf einem weichen, grünen Sofa. Vieles im Laden haben Steffi und Annika gebraucht gekauft, bunt angemalt, selbst gebaut oder mit Unterstützung von Freundinnen umgestaltet. Die beiden Buchhändlerinnen sind herzlich, offen und gastfreundlich. Sie lachen viel – auch über sich selbst – und ergänzen sich gut.
Steffi, 40, Geophysikerin und Mutter von zwei Kindern. Ein Energiebündel und eine Macherin, sagen ihre Freunde.
Annika Beinvogl, 40, ist Umweltingenieurin. Sie stammt aus einer Verlegerfamilie – und sie „frisst Bücher“. Sie liest im Stehen, im Gehen, überall.

INTERVIEW

Was bedeuten Euch Bücher?
S: Mit Büchern kannst Du reisen, in andere Welten kommen.
A: Also Bücher öffnen nicht nur Tore in andere Welten, sie können echt Einfluss auf unser Leben nehmen. Wenn Du jemandem im richtigen Moment das richtige Buch empfiehlst, das kann wirklich etwas verändern.

Hast Du das selbst erlebt, Annika?
Bei mir war das „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“, von Bronnie Ware, die in einem Hospiz gearbeitet hat. Das Buch war ein Augenöffner für mich, es hat mir geholfen, mir öfter mal die Frage zu stellen, wie ich bestimmte Dinge wohl im Rückblick beurteilen würde: Was ist wirklich wichtig, worüber lohnt sich der Ärger, wie entscheide ich mich dann? Das macht dann auch eine Entscheidung wie unsere leichter, einfach eine Buchhandlung zu übernehmen.

Wieso heißt Euer Buchladen „momo&frieda“? Warum nicht Steffi und Annika?
S: Unsere eigenen Namen kamen für uns nicht in Frage. Aber Frauennamen – klar, unser Team ist komplett weiblich. Momo kennt jeder, sie spricht Jung und Alt an. Frieda steht für das Unbekannte. Eine Lücke,
die jede*r selbst füllen kann.
A: Und genau diese Spannung zwischen Vertrautem und Neuem steckt auch in der Begegnung mit Literatur.

Worin unterscheidet sich momo &frieda vom Bücher Johann? Was ist Euch wichtig?
S: Unsere Titelauswahl ist schon anders. Ich würde sagen, wir sind deutlich feministischer.
A: Und wir haben auch kleinere Verlage aufgenommen, etwa den Maro Verlag aus Augsburg. Dazu englische Titel, Graphic Novels und deutlich mehr Jugendliteratur – die man oben im Dachgeschoss ganz ungestört durchstöbern kann.
S: Wir nehmen auch Bücher mit rein, die wir oder das Team einfach mögen, selbst wenn sie nicht Mainstream sind.

Ihr traut euch also, eurem eigenen Geschmack zu folgen? Ganz schön mutig.
S: Das ist ja das Schöne daran, dass wir selbst kuratieren können. Aber das Ganze ist ein großes Experiment, klar fürchtet man, man verkauft dann nichts. Aber dann kommen Kundinnen rein und sagen: Also, wenn diese drei Bücher hier liegen, dann habt´s ihr gute Bücher!


Hattet Ihr keine Angst, als Quereinsteigerinneneinen eigenenBuchladen zu übernehmen?
S: Ehrlich gesagt – kaum. Ich habe noch ein finanzielles Polster, das hilft natürlich. Und Annika
arbeitet in Vollzeit. Wir sind also nicht so unter Druck, sofort Gewinn zu erwirtschaften. Und wir haben das großartige und eingespielte Frauenteam vom “Bücher Johann“ übernommen.
A: Für mich war eher die Frage: Wie klappt das, wenn ich nicht vor Ort bin, weil ich ja noch einen vollen Job
habe. Aber ich habe viel Erfahrung in Mitarbeiterführung – das kann ich gut einbringen. Wir ergänzen uns
echt perfekt. Und die Ängste der einen sind nie die Ängste der anderen.

Wie wurdet ihr denn von den Aiblingern aufgenommen?
S: Die ersten Wochen waren grandios. Fast jede*r, der reinkam, war einfach nur froh, dass es weitergeht mit dem Buchladen.
A: Und es entstehen so viele spannende Gespräche. Bücher sind ja Einladungen, wie eine Tür in ein Thema. Man muss sich nicht am Smalltalk entlanghangeln, sondern ist gleich mittendrin. Man kommt einfach anders ins Gespräch.
S: Zweimal wurden hier auch schon spontan Gedichte vorgetragen –selbstgeschriebene. Da kam jemand
rein und hat einfach losgelegt.

Ihr seht eure Buchhandlung offensichtlich auch als Begegnungsort?
S: Absolut. Wir heißen ja bewusst momo&frieda – Dein Buchladen. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem man einfach da sein kann – ohne Konsumzwang. Wenn der Bus mal nicht fährt oder es regnet, dann setzen sich Leute auch mal bei uns aufs Lese-Fensterbrett oder aufs Sofa. Und dann läuft natürlich die Kaffeemaschine (lacht), unsere Siebträgermaschine, ganz uneigennützig.

Was für Ideen habt ihr noch für momo&frieda?
A: Im Juli haben wir unseren ersten Buchklub gestartet. Einmal im Monat, nach Ladenschluss, wird bei Kaffee und Kuchen über ein Buch gesprochen. Dabei begegnet man Menschen, die man sonst vielleicht nie treffen würde, und es entstehen Gespräche, die tiefer gehen als im Alltag. Leseerfahrungen sind ja sehr persönlich.
S: Genau, das ist das Spannende, unterschiedliche Meinungen kennenzulernen und auszuhalten. Von „Das war das beste Buch meines Lebens“ bis „Ich hab nach fünf Seiten nicht mehr weiterlesen wollen“ ist alles dabei.
A: Meine Vision ist, dass wir künftig mehrere Buchklubs haben zu unterschiedlichen Genres und Themen. Und parallel Veranstaltungen dazu: Etwa eine Ärztin über die Perimenopause oder jemand zu Finanzen für Frauen.
Das kann noch richtig wachsen. S: Wir machen auch mit Lesungen weiter und mit Büchertischen bei Veranstaltungen, wie im Oktober bei Raum&Zeit bei der Lesung von Annegret Liepold.

Wie geht ihr mit dem Widerspruch um, dass Bücher schöne, aber ressourcenintensive Produkte sind?
A: Das beschäftigt uns natürlich. Es geht schon bei den Verlagen los. Wir haben zum Beispiel den Kjona
Verlag ins Sortiment aufgenommen, weil er nachhaltig produziert. S: Es ist auch völlig okay, Bücher in
der Bücherei auszuleihen – die ist super in Aibling. Nur will man Lieblingsbücher oft auch selbst zuhause
haben im Regal. Oder verschenken.
A: Mein Vater liebt schöne antiquarische Bücher. Wer weiß, vielleicht gibt’s bei uns bald „Rudis Antiquariatsecke“. Die Idee steht auf jeden Fall schon auf unserer Liste.
S: Die Liste ist echt lang! (seufzt) Wir haben noch so viele Ideen…

Da gilt sicher: Schritt für Schritt, wie Beppo der Straßenkehrer bei Momo.
Euch ist Nachhaltigkeit eine Herzensangelegenheit. Wie kann man denn gerade Kindern so komplexe Themen wie Klima, Umweltschutz oder Konsum altersgerecht vermitteln?

S: Ganz wichtig erst mal: Ohne erhobenen Zeigefinger – und ohne Angst zu machen. Es gibt viele tolle Sachbücher wie: „Wie viel wärmer ist ein Grad?“ oder „So viel Müll“. Besonders gut finde ich Bücher, die
die Liebe zur Natur und Umwelt vermitteln. Z.B. „Ein Baum kommt selten allein“ von Elisabeth Etz und
Nini Spagl aus dem Keykam Verlag.
A: Und für Erwachsene habe ich noch einen Tipp. Das Buch ist informativ, klug und sehr humorvoll:
„Moore sind wie Menschen – nur nasser“ von Swantje Furtak und Hans Joosten, Katapult Verlag.

Und was liegt gerade oben auf eurem persönlichen Lesestapel?
S: Dream Count von Chimamanda Ngozi Adichie. ((Das Buch erzählt die ineinander verflochtene Geschichte von vier afrikanischen Frauen in den USA und Nigeria.))
A: Hundesohn – das Romandebüt von Ozan Zakariya Keskinkılıç. Der Debütroman erzählt die Liebesgeschichte
von Zeko aus Berlin und seiner ersten Liebe Hassan in Adena. Es geht um Sehnsucht, kulturelle Bindung, Liebe und Begehren, Schmerz und Erinnerung.

Interview Susanne Poelchau